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Episode Nr. 4 - Zugeschneites Verkehrsschild

Weiße Weihnachten sind 2016 wohl nicht zu erwarten. Aber der Winter 2016/2017 kommt bestimmt noch, schneit alle Schilder "Zulässige Höchstgeschwindigkeit" ein und dann gelten diese nicht mehr?

Mustang-Sally freut sich schon, hat sie doch ordentliche und schicke Winterkompletträder montiert und möchte auf der geschlossenen Schneedecke mal so richtig schön durch die Stadt driften. Wenn die Verkehrsschilder mit den lästigen Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht zu erkennen sind, gelten diese doch auch nicht. Was man nicht lesen kann, sei auch nicht zu beachten - so könnte man meinen.

Dieser Grundsatz würde auch nicht nur im Winter nach Schneefall gelten, sondern immer dann, wenn ein Verkehrsschild nicht zu erkennen ist, also auch wegen Schmutz und Schlamm im Herbst oder im Frühjahr oder Sommer durch wuchernde Pflanzen. Selbstverständlich müssen Verkehrszeichen grundsätzlich sichtbar sein, um gültig zu sein. Dies hat des Oberlandesgericht Hamm in einem langen Beschluss am 30.09.2010, Az. III-3 RBs 336/09, festgestellt:

Leitsatz: Ein durch Baum- und Buschbewuchs objektiv nicht mehr erkennbares Verkehrszeichen 274.1, Beginn einer Tempo 30-Zone, entfaltet keine Rechtswirkungen mehr.

Strafe: Der Betroffene wurde wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft um 20 km/h (§§ 3 Abs. 3 Nr. 1, 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO, 24 StVG) zu einer Geldbuße von 35,-- Euro verurteilt und hatte die teilweise ermäßigten Kosten des Verfahrens und des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen. 

Gründe: Das Amtsgericht hat den Betroffenen zunächst wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 200,-- Euro verurteilt, weil er als Taxifahrer innerorts mit dem von ihm geführten Fahrzeug die durch Verkehrszeichen 274.1 (Beginn einer Tempo 30-Zone) angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit um 40 km/h überschritten hatte. Die mit einem Messgerät des Typs Multanova VR 6F durchgeführte Messung ergab eine Geschwindigkeit von 73 km/h, hiervon erfolgte ein Toleranzabzug in Höhe von 3 km/h. 

Das Verkehrszeichen 274.1 befand sich auf der M-Straße, in die der Betroffene von der X-Straße aus kommend nach rechts abgebogen war. Das Schild war zum Tatzeitpunkt durch Baum- und Buschbewuchs für den Betroffenen nicht erkennbar.

Aufgrund der festgestellten örtlichen Verhältnisse – u.a. mehrfacher Fahrbahnerhöhungen, eine Fahrbahnverengung, die Geltung der Regelung "rechts vor links" an nahezu allen Einmündungen, neben einer Schule und einem Kindergarten an der I-Straße fast ausschließlich vorhandene Wohnbebauung – ist das Amtsgericht zu der Überzeugung gelangt, der Betroffene hätte erkennen können und müssen, dass er sich in einer Tempo 30-Zone befand und hat ihn einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 40 km/h für schuldig befunden.

Von der Verhängung eines Fahrverbotes hat das Amtsgericht abgesehen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die teilweise Erfolg hatte. Eine fahrlässige Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 40 km/h ist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt worden.

Der Betroffene konnte das Verkehrszeichen 274.1, das den Beginn der Tempo 30-Zone anzeigte, wegen des zum Tatzeitpunkt vorhandenen Baum- und Buschbewuchses nicht erkennen. Dieser Umstand hatte zur Folge, dass das Verkehrszeichen für den Betroffenen keine Verbindlichkeit entfaltete.

Für die Wirksamkeit von Verkehrszeichen gilt der Sichtbarkeitsgrundsatz. Nach diesem Grundsatz sind Verkehrszeichen so aufzustellen oder anzubringen, dass sie ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhalten der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt schon mit einem raschen und beiläufigen Blick erfassen kann. Unter diesen Voraussetzungen äußern sie Rechtswirkung gegen jeden von der Regelung betroffenen Verkehrsteilnehmer, gleichgültig, ob er das Verkehrszeichen tatsächlich wahrnimmt oder nicht ... Der Verkehrsteilnehmer muss die Anordnung des Verkehrszeichens ohne weitere Überlegung eindeutig erfassen können ...

Dieses Erfordernis gilt nicht nur bei der erstmaligen Anbringung, sondern damit die Gebote und Verbote fortdauernd die ihnen zugedachte Wirkung haben, muss ihre ausreichende Erkennbarkeit gewahrt und erhalten werden. Werden Verkehrsregelungen aufgrund von Abnutzung oder Witterungsbedingungen derart unkenntlich, dass die Erkennbarkeit im o.g. Sinne nicht mehr vorhanden ist, so verlieren sie ihre Wirksamkeit ... Dies gilt gleichermaßen, etwa wenn eine Markierung abgenutzt ist oder ein Schild völlig verschneit ist ... oder wenn aufgrund von Zweigen bzw. Gebüsch in der Nähe des Verkehrszeichens eine Wahrnehmbarkeit im o.g. Sinne nicht mehr gegeben ist ...

Eine solche Fallgestaltung war hier nach den Urteilsfeststellungen gegeben, so dass das Verkehrszeichen 274.1. mangels ausreichender Sichtbarkeit Rechtswirkungen für den Betroffenen nicht entfalten konnte. Unverbindliche Verkehrszeichen müssen aber durch den Verkehrsteilnehmer nicht beachtet werden mit der Folge, dass die Missachtung eines nicht sichtbaren Verkehrsschildes auch keine Ordnungswidrigkeit darstellt. 

Aber, liebe Mustang-Sally, das heißt trotz verschneiter Verkehrszeichen nicht "Vollgas und driften" erlaubt. 

Im Fall des OLG Hamm kam es auf die Ausnahmen nur nicht an: Ob möglicherweise dann eine andere Beurteilung gerechtfertigt sein kann, wenn der Verkehrsteilnehmer mit dem nicht mehr erkennbaren Verkehrszeichen bereits zuvor als Verkehrsteilnehmer in Berührung gekommen ist und er sich daran auch noch erinnert, kann hier dahingestellt bleiben. Denn nach den Urteilsfeststellungen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen hier vorgelegen haben. Vielmehr wird in den Urteilsgründen des Amtsgerichts ausgeführt, dass der Betroffene zur Tatzeit ortsunkundig war, womit ersichtlich zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass ihm die Anordnung der Tempo 30-Zone zuvor nicht bekannt gewesen war ...

Das Amtsgericht durfte dem Betroffenen daher nicht eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Umfang von 40 km/h zur Last legen. Vielmehr konnte dem Betroffenen lediglich vorgeworfen werden, dass er gegen die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO verstoßen und diese um 20 km/h überschritten hat ...

Auf ihr bekannten Strecken hat sich Mustang-Sally somit an Geschwindigkeitsbeschränkungen und andere Verkehrszeichen zu halten, auch wenn die Schilder zugeschneit sind. Dass sie innerorts unterwegs ist, hat sie nach den Ausführungen des OLG Hamm ohnehin zu beachten. 

Außerdem erwartet die Rechtsprechung schon ein gewisses Mitdenken der Autofahrer. So hat man sich beim Parken nach möglichen Verbotsschildern umzusehen und schlecht erkennbare Zeichen eventuell genauer zu überprüfen. Ein Wegwischen des Schnees dürfte verlangt werden können. Beim Parken hat Mustang-Sally ja Zeit. Anders selbstverständlich beim Verkehrsschild auf der Autobahn, wo sie mit 80 km/h vorbeifährt und nur 60 km/h erlaubt waren. 

Schließlich gilt nicht für alle Verkehrsschilder "Rund und rot ist ein Verbot". Das Stoppschild ist schon allein an seiner markanten achteckigen Form zu erkennen. Ein auf der Spitze stehendes Dreieck ist gut als "Vorfahrt gewähren" zu erkennen. Zugeschneit oder verdreckt als Argument vor Gericht wird dem Richter dann nur ein mitleidiges Lächeln entlocken, aber keinen Freispruch. Mit dem Hinweis, auch für Mustang-Fahrer gelte der Grundsatz, die Geschwindigkeit den Witterungsverhältnissen anzupassen, wird er Mustang-Sally dann empfehlen, ihren Einspruch zur Vermeidung weiterer Kosten zurückzunehmen.

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