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Episode Nr. 7 - Prima-facie-Beweis

Anscheinsbeweis für Fahrfehler bei ungeklärter Unfallursache und winterlichen Straßenverhältnissen sowie winterglatter Fahrbahn führt zur Haftung. Ein Anschein spricht dafür, dass ein Fahrfehler vorliegt, wenn jemand ohne äußeren Anlass mit seinem Auto ins Schleudern gerät. Landgericht Darmstadt wird durch Oberlandesgericht Frankfurt bestätigt, Urteil vom 3.09.2015, Az. 22 U 89/14.

Irgendwo bei Darmstadt auf der Autobahn. Februar, Winter, die Verhältnisse entsprechend und die Fahrbahn glatt. Mustang-Fahrer, die im Herbst oder Frühling mit den Pirellis auf feucht-kalten Straßen zurechtkommen, wissen, jetzt ist mit Winterreifen angepasst zu fahren.

Nicht so Sam W. Er hat es eilig, vielleicht ist er auf dem Weg zu einem Date mit Mikaela B. Deshalb muss er später im Urteil lesen:

„Die Parteien streiten um Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall … auf der Bundesautobahn A ... von Stadt 1 in Richtung Stadt 2. Der Beklagte zu 1) war Fahrer und Halter des bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Fahrzeugs ... Es herrschten winterliche Verhältnisse und eine winterglatte Fahrbahn. Der Beklagte geriet mit seinem Fahrzeug ins Schleudern. In diesem Zusammenhang lenkte der Zeuge B sein Fahrzeug von der rechten Fahrspur, die er bis dahin befahren hatte, nach rechts auf den Standstreifen, wo er mit der rechten Fahrzeugseite entlang der Leitplanke schrammte. Das Fahrzeug des Beklagten zu 1) kam etliche Meter vor dem Fahrzeug des Zeugen B ebenfalls an der rechten Leitplanke zum Stehen, auf die er frontal aufgefahren war. Der genaue Unfallhergang ist zwischen den Parteien streitig.“

Ein Kläger hat vor Gericht die so genannte Darlegungs- und Beweislast. Für ihn günstige Umstände hat er vorzutragen und wenn sie vom Beklagten bestritten werden, zu beweisen. Kann er keinen Beweis führen, wird seine Klage abgewiesen. Und hier? Unfallhergang streitig? Vermutungen in Form des Beweises des ersten Anscheins verhelfen dem Kläger zu seinem Recht, sprich Schadenersatz in Form von Geld aufs Konto. Das OLG begründet das so:

„Bei der Frage, welche Verursachungsanteile der einen oder anderen Seite zur Last gelegt werden können, sind die allgemeinen Beweislastgrundsätze anzuwenden. Das bedeutet, dass jede Seite die Beweislast für solche Umstände trägt, die für sie günstig sind. Die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins als Ausprägung der richterlichen Überzeugung gemäß § 286 ZPO sind in diesem Rahmen anwendbar.
Nach der Beweisaufnahme steht fest, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 1) auf Grund entweder überhöhter Geschwindigkeit oder Unaufmerksamkeit auf winterglatter Fahrbahn ins Schleudern geriet und in diesem Zusammenhang der Zeuge B ein Ausweichmanöver einleitete. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass angesichts des Schleudervorgangs, der für den Beklagten zu 1) jedenfalls ohne äußeren Anlass erfolgte, ein Beweis des ersten Anscheins dahingehend eingreift, dass der Schleudervorgang auf Grund Fahrfehlers erfolgt ist. Dass der Zeuge B in Folge der Fahrweise des Beklagten zu 1) einen Ausweichvorgang eingeleitet hat, ergibt sich ebenfalls aus der Beweisaufnahme und ist für den Senat auch gemäß § 529 ZPO bindend durch das Landgericht festgestellt worden.
Damit hat der Beklagte zu 1) die wesentliche Ursache für das Ausweichmanöver des Zeugen B und die dadurch erfolgte Beschädigung seines Fahrzeugs gesetzt.“

Kleine Anmerkung am Rande: Der Zeuge B war Halter und Fahrer des beschädigten Autos. Hätte er seinen Schaden selbst eingeklagt, hätte er vor Gericht als Kläger nicht Zeuge sein können. Er hat daher seine Schadenersatzansprüche abgetreten und der Abtretungsempfänger hat sodann geklagt. 

Ergänzung: Den Prima-facie-Beweis kennen wir auch durch den Ausspruch „Wer auffährt, hat Schuld.“ Oft fehlt die genaue Kenntnis vom Unfallhergang, weshalb das Verschulden regelmäßig nicht nachgewiesen werden kann und dann stellt die Rechtsprechung Überlegungen an, ob nicht den Auffahrenden „nach dem ersten Anschein“ ein Verschulden treffe. Maßstab ist dabei meist der zuverlässige Normal-Autofahrer, also ein perfekt und immer vorschriftsmäßig fahrender Richter. Dabei hilft der Erfahrungssatz, dass der Fahrer des auffahrenden Fahrzeugs bei Auffahrunfällen typischerweise die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt unbeachtet ließ, also unaufmerksam war oder den erforderlichen Abstand nicht einhielt bzw. zu schnell fuhr. Auch hier wird bei einem Unfall von irgendeinem schuldhaften Verhalten ausgegangen.

Ähnlich, wenn ein Auto von der Fahrbahn abkommt und Schäden verursacht, dann kann nach der Rechtsprechung auch hier von einem Anscheinsbeweis zulasten des Fahrzeugführers ausgegangen werden: Entweder sei dieser dann zu schnell gefahren oder zu unaufmerksam gewesen; in beiden Fällen liegt dann ein Verschulden vor. Diesen Anscheinsbeweis muss dann der Fahrzeugführer entkräften, so z. B. bei einem vom Fahrzeugführer nicht zu vertretenen technischen Defekt des Fahrzeuges oder einem gebotenen Ausweichmanöver wegen Hindernisse auf der Fahrbahn.

Ebenso schließt die Rechtsprechung auf ein Verschulden in der Form der Fahrlässigkeit bei Unfällen im Rahmen des Überholens ohne hinreichenden Seitenabstand. Kollidiert ein Fahrzeug unmittelbar nach dem Einfahren in die Fahrbahn mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Einfahrenden; gleiches gilt bei Unfällen mit dem fließenden Verkehr nach Verlassen eines Parkstreifens.

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